Gedanken eines Borderliners

Betrachten wir uns einmal eine ganz gewöhnliche Situation einer Borderlinepersönlichkeit und ihre Gedanken

Ich darf mich kurz vorstellen? Mein Name ist C. ich bin Borderliner, besser gesagt ich „leide“ an der Borderline-Störung.

„Tzzz, was heißt hier eigentlich Störung? Als ob ich gestört wäre?“

Es ist 1:30 Uhr. Mein Freund ist schon fertig und liegt im Bett.

Ich stehe im Bad und betreibe die übliche Routine. Ein anstrengender, doch wundervoller Tag. Ja, er liebt mich wirklich, so bin ich noch nie geliebt worden, geht es mir durch den Kopf. Warum streiten wir aber so oft und dann so verletzend? Das Lächeln meines schönen Mundes lässt mich zurück lächeln.

Vier Tage keinen Streit. Aber ich mag es, ihn zu provozieren, ihn zu testen, wie weit ich gehen kann. Oh, ich hasse es, wenn er alles zerpflückt und ich eigentlich zugeben muss, dass er recht hat. Ich muss aufpassen, dass ich nicht zu weit gehe.

Er kann sehr hart und kalt sein und dann liebe ich diese furchtbare Angst, er verlässt mich doch. Puh, vor vier Tagen das ging gerade noch mal gut. Na ja, ich weiß schon, wie ich ihn kriege. Die Versöhnungen sind einfach himmlisch.

Heute mag ich mein Gesicht, eigentlich mag ich es immer. Immer? Nein, nicht immer.

Aber wenn er mich dann so ansieht, er mir wieder, in einem Anflug echten Erstaunens sagt, „du bist so schön“, dann weiß ich, dass es stimmt. Der liebt mich sogar im Jogginganzug. Bei ihm kann ich einfach sein, wie ich bin. Obwohl, er findet mich zu dünn für meine Größe. Würde er mich wirklich lieben, würde er so etwas nicht sagen. Überhaupt mag ich es nicht,  wenn er mir irgendwelche Fehler sagt. Entweder, er nimmt mich wie ich bin oder er soll sich zum Teufel scheren.

So, nun noch das hübsche Gesicht abschminken. Der Blödmann, fragt der mich doch letzte Woche: „Sag mal Schatz, warum schminkst du dich eigentlich nie?“

Und ich dumme Gans öffne mich auch noch und heule ihm was vor. Puh, und dann noch seine blöde verständnisvolle Art, die ich so verdammt liebe. Der macht mich wahnsinnig. So, fertig. Jetzt will ich wissen, ob er mich wirklich liebt. Werde ihn einfach fragen. Ich geh in’s Schlafzimmer und flüstere: „liebst du mich?“

Zum Glück ist es dunkel und er sieht meine Angst nicht. Keine Antwort. Schläft der etwa schon? Wieder frage ich, diesmal laut und fordernd. Wieder keine Antwort. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Es kocht in mir. Der Typ pennt einfach. Nein, er liebt mich nicht. Sonst wäre er doch munter. Massiv und geräuschvoll kämpfe ich mich auf meine Seite des Bettes. Er stöhnt, als will er sagen: „Sei doch nicht so laut“. Na warte, denke ich.

In dem Moment durchfährt mich das alte Gefühl des Verlassenseins, gepaart mit der Wut des Sadismus. Ich will es jetzt wissen und mache den Strahler an, der ihm direkt ins Gesicht scheint.

So, das hat er jetzt davon, denke ich.

Er reißt die Decke hoch und fährt mich scharf an: „Hast du sie noch? Mach sofort das Licht aus, ich schlafe schon“.

Huch, erschrocken mache ich das Licht aus. 

Der spinnt ja wohl. Wie kann er mich so anfahren?

Es ist stockdunkel und ich flüstere wie ein Kind: „ich habe doch nichts gesehen“. Ich bin eingerollt in meiner Decke, bereit jede zärtliche Zuwendung abzuwehren. Verdammt, ich will aber jetzt, dass er mich in den Arm nimmt und mir sagt, dass er mich liebt. Eigentlich glaube ich nicht, dass er mich liebt. Die Sekunden werden zur Ewigkeit. Mir ist zum Heulen. Misst, ich glaube, mein Atem verrät mich. Bekomme ich keinen Kuss?- bettele ich. Er dreht sich langsam zu mir um. Seine Hand sucht und findet mich, tastet das zusammengerollte Knäul ab. Kein reinkommen. Er streichelt mir doch kurz durch meine Haare, die er ja ach so toll findet.

Kurzer Kuss. „Nacht Liebling, ich bin so müde“, sagt er. 

Ich bin kurz vor der Explosion und drehe mich um. Jetzt reicht’s wirklich. Der liebt mich nicht, hat mich nie geliebt. Alles mögliche geht mir blitzartig durch den Kopf. Es ist doch jedesmal so, ich werde einfach nicht geliebt. Ich explodiere und springe aus dem Bett. „So kann ich nicht einschlafen“, brülle ich ihn an. Schnappe mein Bettzeug und gehe ins Wohnzimmer. Am liebsten würde ich auf ihn einprügeln. 

Um mich zu beruhigen, öffne ich eine Flasche Wein—? eine nach der anderen. Ich hab es doch gewusst, er liebt mich nicht und immer dieser Streit. Es funktioniert einfach nicht mit uns. Sieht man ja, kommt nicht mal hinterher. Interessiert ihn einfach nicht, ich interessiere ihn nicht. Schluss- Aus- Ende. Ich mach Schluss, diesmal entgültig. Obwohl, wenn er jetzt käme und mich lieben würde? Der schläft einfach weiter. 

Ich renne wutentbrannt ins Schlafzimmer und knalle ihm alles mögliche an den Kopf. Was, weiß ich eigentlich nicht, aber es ist beleidigend und sitzt (hoffe ich). Zurück im Wohnzimmer erst mal ein Schluck Wein und eine Zigarette. Das hat gesessen, jetzt fühle ich mich wohler. Wenn er jetzt kommt, können wir uns ja wieder versöhnen, geht es mir durch den Kopf und spüre, wie es mich sexuell erregt. Die Kerzen sind schon an. 

Da kommt er, bleibt in der Tür stehen und fixiert mich mit diesen durchdringenden Blick. Ich hasse diesen Blick. Er weiß genau, was in mir vorgeht. Das macht mich wieder wütend. Zu oft fühle ich mich wie ein offenes Buch vor ihm. Keiner konnte bisher hinter meine Masken in mich schauen. Ich wage es nicht ihn anzublicken. Ja, es stimmt, das ist es, ich habe Angst vor ihm. 

Scheiss Angst, immer habe ich die wenn ich nicht weiterkomme. Na ja, eigentlich wenn ich bemerke welchen Mist ich wieder gemacht habe und nicht weiß wie ich aus dieser Situation wieder herauskomme. Nein, meine Masken werde ich nicht fallen lassen. Nicht für so einen dahergelaufenen wie den da, und wühle mit meiner Zigarette den Aschebecher durch. Kann der Arsch nicht einfach herkommen und mich ficken? Dann war doch immer alles gut. Ich hau dem jetzt den Aschenbecher an den Kopf. Oder er soll einfach gehen. Ich kann nicht mal hoch schielen um sein Gesicht zu sehen. Mensch das macht mich fertig, spüre wie seine Blicke mich durchdringen und ich blöde Kuh wühle hier im Aschenbecher rum. Ich nehme all meinen Mut zusammen und blicke ihn kurz an als ich mir eine neue Zigarette anmache. Ob er mein Zittern sah?

Er steht immer noch da und schaut mich an. Was wird jetzt wohl kommen? Er bräuchte nur herkommen und mich zu lieben. Kurz, knapp und scharf kommt der Satz: „Heißt das jetzt, ich soll mir eine andere Partnerin suchen?“ Mir bleibt das Herz stehen. 

Verdammt. „Nein“, „Ja“,  würde ich am liebsten schreien. Ich kann nichts sagen. 

Wieder kommt die Frage, diesmal noch schärfer. „Nein“, presse ich kleinlaut hervor und hoffe gleichzeitig auf die Versöhnung. Er dreht sich um, sagt, „dann ist ja gut“ und geht wieder. „Du gottverdammtes Arschloch“ will ich hinterher schreien und bin wie betäubt. 

Ich heule wie ein Schlosshund, da ich jetzt den Beweis habe, dass er mich nicht liebt. Aber SO wollte ICH  es nicht. Der Wein kann mich kaum trösten. Die ganze Nacht schlafe ich nicht. Für wie viele solcher Nächte ist er verantwortlich? 

Für alle, sagt es in mir. Ich hasse seine Kälte, seine insistierenden Fragen, seine Analysen, seine Wärme, sein Verständnis, seine Zärtlichkeiten, meine Machtlosigkeit dagegen. Ich hasse IHN. Schluss, Aus, Ende. Eigentlich hat er nur schlechte Eigenschaften. 

Ich warte darauf, dass er kommt und sich neben mich legt. Er kommt nicht. Ha, ich liebe ihn auch nicht mehr. 

Irgendwann gegen Morgen schlafe ich ein. Ich wache auf, fühle mich hundeelend. Er hat Kaffee gemacht und steht hinter der Küchentheke, schaut mich an und sagt: „Ich wollte dich nicht wecken, musste das gestern wieder sein?“ 

Ich weiß, er wartet auf eine Entschuldigung. Er hätte doch kommen können. Außerdem bin ich nicht schuld an dem Streit. Was heißt eigentlich Streit? Es ist aus. 

Ich gehe ins Bad, ohne ihn eines Blickes zu würdigen oder eine Antwort zu geben. Der kann mich mal. Als ich zurück komme, sitzt er auf der Couch und liest in meinem Buch. Was fällt dem eigentlich ein? In meinem Buch? Hoch politisch. So etwas liest er doch sonst nicht. Außerdem macht mich das wütend, dass er nach drei Tagen schon die Hälfte durch hat und ich schlage mich drei Wochen schon damit herum. Im Moment macht mich eh alles wütend, ich bin wütend.

Ich schenke mir einen Kaffe ein. Um nicht in seiner Nähe zu bleiben, laufe ich geschäftig durch die Wohnung. Ich kenne ihn, so lange hält er das nicht aus. 

„Ist es wieder mal aus?“ fragt er.

Ha, jetzt habe ich ihn, jetzt bekommt er die Verletzungen knallhart zurück. Kalt und es gibt mir eine regelrechte Befriedigung, sage ich: „Ja und danke für den guten Fick, du kannst jetzt fahren“. 

Das hat gesessen. Er wird blass, seine ganze Haltung verkrampft sich. Er bleibt aber ruhig hinter der Theke stehen. Mist, denke ich, er lässt sich nicht provozieren. Nach, wie mir scheint, einer Ewigkeit fragt er ruhig: „Und würdest du mir auch erklären warum?“

Warum, warum. Was soll das? Spinnt der Mann? Was soll ich denn jetzt sagen? Das ich nur wütend bin, ihn verletzen will, ihn zwingen will mich zu lieben?

„Ich liebe dich nicht mehr“, sage ich so kalt wie möglich und schaffe es sogar ihn voller Verachtung anzuschauen. Peng, noch eins drauf, das tut gut.

„Das geht aber sehr schnell bei dir“, antwortet er. Was soll ich denn darauf wieder sagen?

 Und so sage ich so kalt ich nur kann „Manchmal muss der Verstand siegen und wenn ich dich nicht mehr liebe, was soll ich dann noch mit dir?“

Ich verletze ihn richtig bewusst und doch ist mir, als ob ich nicht anders kann. ER verletzt doch, ER sagt doch böse Dinge zu mir. 

Er geht ins Schafzimmer und packt seine Tasche, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Ich bekomme Angst, dass er wirklich geht. Eigentlich will ich es doch gar nicht. Ich werde noch wütender, fühle mich hilflos. Ich schreie irgendwelche Beleidigungen durch die Wohnung. Irgendwie muss ich ihn doch halten. Er kommt aus dem Schlafzimmer, bleibt an der Tür stehen und sagt ruhig: „Wenn du jetzt nicht aufhörst damit, knall ich dir eine. Ich denke, es reicht jetzt langsam.“

Was bildet der sich ein? Ich schieße auf ihn zu, reiße meinen Bademantel auf, — soll er doch sehen wie nackt und wehrlos ich bin, und schreie an „Los schlag mich doch, na los das willst du doch nur.“

Hilfe, ich benehme mich wie eine Furie, schießt es mir kurz durch den Kopf. Er legt den Kopf schief, schaut mich belustigt an und sagt: „Wenn du jetzt nicht aufhörst, du hysterisches Weib, dann fängst du wirklich eine“, dreht sich um, nimmt den Schlüssel und geht, ohne Tasche. 

Ich habe das Gefühl zu explodieren. Lässt der mich doch einfach stehen. Nicht zu fassen. Was bildet der sich eigentlich ein? Jetzt fühle ich mich noch elender und bekomme die üblichen Magenschmerzen. Vielleicht überlegt er es sich noch und kommt zurück. Na dann kann er was erleben. Er kommt nicht und ich fühle mich immer schlechter. Nur er ist daran schuld, wie ich mich fühle. Natürlich liebe ich ihn. Hasse mich ja selber für mein Verhalten. Aber hätte er mich geliebt, hätte ich nicht so sein müssen. Er hätte mich ja auch bestrafen können, da hätte ich wenigstens mit umgehen können. Und was mache ich jetzt? Wo wird er sein? Er kennt sich hier nicht aus. Mit Sicherheit ist er in der Gaststätte, in der wir gestern waren. Wird sich bei einem Bier beruhigen. Ich werde zu ihm gehen und mich entschuldigen. Nein, entschuldigen niemals, warum auch? Er ist doch an allem Schuld. Jetzt muss ich ihm auch noch hinterherlaufen. Für so etwas bin ich mir eigentlich zu schade. Irgendwie kann ich mich nicht entscheiden, rauche eine nach der anderen. Verdammt, er zwingt mich immer in solche Situationen. Warum habe ich eigentlich mit ihm gestritten? Ist ja auch egal. Ich ziehe mich an. Rock, leichte Bluse, wird ihm gefallen. In mir ist eine Spannung, kaum zu ertragen. Vielleicht schaltet er mal wieder auf stur? Vielleicht gibt er mir eine Abfuhr? Nein, das macht er nicht. Ich muss nur schnurren, wie ein Kätzchen.

Als ich an die Gaststätte komme, sitzt er im Biergarten und telefoniert. Wahrscheinlich erzählt er seiner Freundin wieder von dem Vorfall. Das macht mich schon wieder wütend. Wer weiß, was die Kuh ihm wieder für Ratschläge gibt. Als ich auf ihn zugehe, hört er auf zu telefonieren, mustert meinen Gang. Er trinkt ein Bier. Ich trete an seinen Tisch und sage: „Komm mit nach Hause.“ Mist, wollte eigentlich was ganz anderes sagen. „Warum sollte ich?“, fragt er. Ich hasse es, in die Enge getrieben zu werden. „Weil ich dich liebe“, sage ich. Ihm fällt fast das Bier aus der Hand und er hat zu tun, dass er sich nicht verschluckt. Ihn immer so zu schockieren, liebe ich. Mein Grinsen dabei kann ich nicht unterdrücken. Er schaut auf die Uhr. „Vor zwei Stunden war das aber nicht mehr der Fall. Und was soll ich zu Hause?“

Der Arsch, anstatt er froh ist, dass ich hier bin. „Ich will mit dir reden“, was besseres fällt mir im Moment nicht ein. Ich brauche jetzt den Sieg. Er muss machen, was ich will. 

„Ok, das können wir auch hier“, sagt er. Darum geht es nicht, hätte ich beinahe geschrien. Er weiß genau worum es geht. „Ich will aber in Ruhe mit dir reden“, abgesehen davon ist auch das Bett näher, denke ich hinzu. 

„Ok, ich trinke noch aus“, sagt er. „Nein, sofort, lass es stehen“, sage ich. Ups, das war zuviel, denke ich noch, als er sagt: „Hör mal, entweder du wartest jetzt oder du gehst schon mal vor.“ 

Ich könnte ihn ohrfeigen. Das kann doch nicht wahr sein. Ohne ein Wort stehe ich auf und gehe. Jetzt reicht es mir aber wirklich. Das habe ich doch nicht nötig. Jetzt ist endgültig Schluss.

Zu Hause packe ich meine Badesachen und schreibe ihm einen Dreizeiler. — Aus und vorbei –. Nur nicht da sein, wenn er kommt. Sicher denkt er, ich warte hier. Pah, um zu reden? Es gibt nichts mehr zu reden, habe ich ja auch geschrieben. Als ich am See bin, bereue ich, dass ich wieder so impulsiv reagiert habe. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass er wohl schon zu Hause war. Komisch, kein Anruf, keine SMS. Ich werde immer nervöser. Ob ich ihn anrufen soll?

Piep, eine SMS.“ Ich gehe nicht, liebe dich, komm nach Hause:“ Ah, er fängt wieder an zu kämpfen. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht und ich fühle mich schon viel besser. Ich habe wieder gesiegt. Wenn da nur nicht dieser unendlicher Schmerz in mir wäre. Plötzlich sehne ich mich so sehr nach ihm, seiner Liebe. Aber wie kann ich sicher sein, dass er mich nicht verlässt? Lieber gehe ich vorher und an die Liebe glaube ich schon lange nicht mehr, oder doch? Das ist doch wie bei meiner Mutter, die sagt auch nur, dass sie mich liebt. Ich brauche Beweise. Na ja, oft genug teste ich ja, wie weit ich gehen kann, wie stark seine Liebe ist. Ich muss mit ihm über meinen Schmerz sprechen. Per SMS frage ich ihn, ob er diesen Schmerz, der mich fast zerreißt, mit mir teilen will. Seine Antwort ist deutlich. „Natürlich, ich liebe dich“.

Erleichtert fahre ich nach Hause. Die Versöhnung ist wie immer wundervoll. Ich kann mich vollkommen fallen lassen. Als er mich fragt, ob ich noch wüsste, wie ich ihn heute beleidigt habe, fällt mir nicht mehr viel ein. Nur das ich sagte, ich liebe dich nicht mehr, aber das ist jetzt nicht mehr wichtig. Wichtig ist nur, dass wir uns lieben und in 6 Wochen heiraten.